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Arbeitsbedingungenrichtlinie führt zu weitreichenden Gesetzesänderungen

Der Deutsche Bundestag hat am 23. Juni in zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union verabschiedet. Das Gesetz bringt zahlreiche arbeitsrechtliche Änderungen im Nachweisgesetz und anderen Gesetzen mit sich, die von erheblicher Bedeutung für die Praxis sind.

Die Frist für die Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie läuft am 31. Juli 2022 aus.

Gesetz sieht Änderungen am Nachweisgesetz vor

Hauptsächlich wird die Arbeitsbedingungenrichtlinie durch Änderungen des Nachweisgesetzes (NachwG) verwirklicht, aber auch andere Gesetze wie zum Beispiel das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder das Teilzeit- und Befristungsgesetz werden geändert.

 

Die wesentlichen Änderungen des NachwG betreffen die folgenden Umstände:

  • Die im Gesetz vorgesehenen Neuregelungen sind in vielerlei Hinsicht kaum nachvollziehbar. Am erstaunlichsten aber ist, dass es dabei bleibt, dass die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich niederzulegen sind. Die elektronische Form bleibt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 NachwG ausgeschlossen. Dieser Anachronismus verwundert vor allem deshalb, weil Art. 3 der Arbeitsbedingungenrichtlinie ausdrücklich die elektronische Form zulässt. Es ist nicht zu verstehen, dass der deutsche Gesetzgeber diese Möglichkeit im digitalen Zeitalter nicht aufgegriffen hat.
  • Erstmals werden Verstöße gegen bestimmte Vorschriften des NachwG als Ordnungswidrigkeit behandelt, die mit einer Geldbuße von jeweils bis zu 2.000 Euro geahndet werden können. Wenn also ein Unternehmen die wesentlichen Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden mit einer qualifizierten elektronischen Signatur statt in Schriftform niederlegt, kann dies zu einer Geldbuße führen.
  • Bei neu begründeten Arbeitsverhältnissen sieht das Gesetz in Abhängigkeit der Art der Arbeitsbedingungen unterschiedliche Fristen für die Aushändigung der wesentlichen Arbeitsbedingungen vor (vom ersten Tag der Arbeitsleistung bis spätestens einen Monat nach vereinbartem Beginn des Arbeitsverhältnisses). In der Praxis wird das dazu führen, dass alle Arbeitsbedingungen am ersten Tag ausgehändigt werden.
  • Auch für Arbeitsverhältnisse, die begründet wurden bevor die Änderungen des NachwG in Kraft getreten sind, gelten die Neuregelungen. Mitarbeitende können vom Arbeitgeber verlangen, dass die im NachwG genannten wesentlichen Arbeitsbedingungen innerhalb von einer Woche ausgehändigt werden.
  • Folgende Arbeitsbedingungen müssen künftig zusätzlich zu den bereits jetzt in § 2 NachwG genannten Vertragsbedingungen aufgenommen werden:
    • das Enddatum bei befristeten Arbeitsverhältnissen;
  • Die exakte Regelung einer Teilzeitbeschäftigung, wie viele Stunden genau zu erbringen, und wann diese zu leisten sind.
    • die Möglichkeit, dass die Mitarbeitenden ihren jeweiligen Arbeitsort frei wählen können, sofern vereinbart;
    • die Dauer der Probezeit, sofern vereinbart;
    • die Vergütung von Überstunden;
    • die Fälligkeit des Arbeitsentgelts und die Form, in der das Arbeitsentgelt ausgezahlt wird;
    • die vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für die Schichtänderungen;
    • Einzelheiten zur Arbeit auf Abruf, falls diese vereinbart ist;
    • die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen;
    • ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung;
    • im Grundsatz: Name und Anschrift des Versorgungsträgers der betrieblichen Altersversorgung, falls eine solche gewährt wird;
    • das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Mitarbeitenden einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden. Der zweite Halbsatz wird im Ergebnis dazu führen, dass eine Kündigungsschutzklage, die außerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) eingereicht wurde, gemäß § 5 KSchG nachträglich zuzulassen ist, wenn sie innerhalb der im Arbeitsvertrag nachgewiesenen Frist eingereicht wurde;
    • ein Hinweis auf die anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen.
  • Darüber werden erweiterte Dokumentationspflichten für Sachverhalte eingeführt, bei denen die Mitarbeitenden länger als vier aufeinanderfolgende Wochen im Ausland arbeiten und/oder der Auslandsaufenthalt unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen fällt.

Änderungen weiterer Gesetze

Auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz enthält eine weitreichende Neuregelung: So muss der Entleiher künftig dem Leiharbeitnehmenden, der ihm seit mindestens sechs Monaten überlassen ist und der ihm in Textform den Wunsch nach dem Abschluss eines Arbeitsvertrages angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitteilen. Auch das Berufsbildungsgesetz, die Gewerbeordnung, das Teilzeit- und Befristungsgesetz und weitere Gesetze werden geändert.

Wie mit Altverträgen umzugehen ist

Mitarbeiter, die bereits einen Vertrag haben, und den Arbeitgeber auf die neuen Pflichtangaben ansprechen, haben das Recht,

  • Innerhalb von sieben Tagen muss der Arbeitgeber dem Mitarbeiter eine Niederschrift mit den wichtigsten Angaben ihres Arbeitsvertrags vorlegen.
  • Innerhalb eines Monats bekommt der Mitarbeiter eine Niederschrift mit den übrigen Angaben, also den gesamten Arbeitsvertrag, ausgehändigt.

Deutschland als eines der wenigen Länder mit Schriftformerfordernis

Die Kritik zu dem Gesetz ist immens. Insbesondere das Festhalten am Schriftformerfordernis und die Einführung eines Bußgeldes für Verstöße gegen das Schriftformerfordernis werden zu erheblichen Belastungen gerade für kleine und mittelständische Unternehmen führen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Unternehmen im digitalen Zeitalter Archive vorhalten müssen, um handschriftlich unterzeichnete Arbeitsverträge aufzubewahren. Es bleibt im Übrigen dabei, dass Deutschland mit dem Schriftformerfordernis eine traurige Ausnahme im europäischen, aber auch im weltweiten Kontext darstellt.

Drei Minuten Zeitaufwand werden nicht genügen

Wie extrem weit sich die Politik von den Realitäten in der Wirtschaft mittlerweile schon entfernt hat, zeigt sich nun auch daran, dass in der Begründung des vorliegenden Gesetzes geschätzt wird, dass lediglich 10 Prozent der Unternehmen ihre Musterverträge aufgrund der Änderungen des Nachweisgesetzes ändern müssen. Wahrscheinlicher ist, dass 90 bis 100 Prozent aller Unternehmen ihre Musterverträge ändern müssen. Betrachtet man beispielsweise die neu hinzugefügte Anforderung, Regelungen aus dem Kündigungsschutzgesetz in den Arbeitsvertrag aufzunehmen, so wird dies wohl derzeit von kaum einem Arbeitsvertrag erfüllt. Auch die einschlägigen Handbücher zu arbeitsrechtlichen Formularen sehen dies nicht vor. Von daher ist es völlig fernliegend, dass – wie die Bundesregierung meint – für die Ergänzung der Arbeitsverträge ein Zeitaufwand von drei Minuten anzunehmen ist. Da im Übrigen die Anforderungen auch für bestehende Arbeitsverhältnisse gelten werden und innerhalb von sieben Tagen nach Anforderung ein entsprechender Nachweis erstellt werden muss, ist mit erheblichen Belastungen für Unternehmen zu rechnen.